Abstrakte Gedankenspiele (2022/03)
Spätestens seit dem Verdacht einer drohenden Netzhautablösung und meiner daraufhin folgenden Beschäftigung mit der Brailleschrift und Fakoo, ist die visuelle Darstellung einzelner Wörter bis hin zu Gedichten und ganzen literarischen Texten eines der Themen, die mich am intensivsten beschäftigen. Neben Werken in Brailleschrift und Fakoo (Brailled Erlkönig, Ich armer Tor, Ich bin der Geist) entstanden dabei Arbeiten auf Basis eines abstrakten Alphabets, das jedem einzelnen lateinischen Buchstaben ein geometrisches Objekt zuordnet (Wandrers Nachtlied, Make Love Not Hate, Kleine Hand, Make Art Not War).
Auch sogenannte word clouds habe ich für Goethes Faust und Schillers Bürgschaft eingesetzt. Hierbei kamen bereits vereinzelt Verfahren aus dem Bereich der natürlichen Sprachverarbeitung (Natural Language Processing) zum Einsatz. Für Goethes Faust malt Kandinsky wurde die gesamte literarische Grundlage in einen Zahlencode transformiert, der anschließend geometrische Objekte im Stile Kandinskys auf der Leinwand arrangiert - von der Anzahl über die Form und Positionierung bis hin zur Farbgestaltung. Der gleiche Ansatz wurde in Hesse, Shakespeare, Hölderlin für 'Siddharta', 'Hamlet' und 'Der Frühling' eingesetzt.
Kürzere Texte habe ich dagegen, wie in Word Art, Blood Games und To Be Or Not To Be, nicht abstrakt, sondern eher plastisch dargestellt. Dabei wurden diese in der Regel in rotierenden Bewegungen und transparenten Farben überlagert. In Wer, Was, Wann wurden diese Überlagerungen zusammen mit transparenten Farben erstmals so intensiv als Stilmittel eingesetzt, dass die ursprüngliche Botschaft kaum mehr zu erkennen ist. Dies führt wiederum erneut von einem figürlichen oder gegenständlichem Bild hin zu einer eher abstrakten Darstellung.
In den frühen 20er Jahren des vorangegangen Jahrhunderts kämpften berühmte Maler darum, sich von der gegenständlichen Malerei zu lösen und erste Schritte in Richtung einer abstrakten Kunst zu unternehmen. Ziel war es, etwas völlig Neues, etwas Eigenständiges zu erschaffen - losgelöst von den Vorbildern der Natur, des Menschen und seinen menschengeschaffenen Dingen und Objekten. Der Ansatz, einerseits Wörter oder kurze Texte als graphische Elemente einzusetzen, andererseits aber Techniken anzuwenden, die von der zugrundeliegenden Botschaft abstrahieren, könnte zu einer neuen Form der abstrakten Gestaltung führen. In dieser wird der Buchstabe zum Pinsel, Wörter und Phrasen zu Pinselstrichen, deren Individualität in der Gesamtheit des Werkes untergeht und zu einer vollständigen Abstraktion von der eigentlichen Botschaft führt.