Born To Be Wild (2023/08)

Nicht nur die moderne Gesellschaft mit ihren industriellen und digitalen Revolutionen ist gekennzeichnet von neuen Errungenschaften und Entwicklungen. Auch die bildenden Künste sind einem steten Wandel bezüglich neuer Techniken, Materialien und Hilfsmitteln unterworfen. Bereits frühe Höhlenmalereien zeugen von erstaunlichen Techniken, die unsere Vorfahren wie der Neandertaler einzusetzen wussten. Neben Werkzeugen zum Ritzen (Strichzeichnungen) oder zum Meißeln (Halbreliefs) kamen bereits einfache Werkzeuge zum Farbauftrag (Malerei) zum Einsatz. Neben den eigenen Fingern dienten hierzu angekaute Zweige als Pinsel, Stempel aus Naturmaterialien und sogar der Mund zum Spucken oder kleine Blasröhrchen zum Aufsprühen von Farbe.

Im Laufe der Entwicklungsgeschichte der Menschheit hat sich dieses Repertoire um ein Vielfaches verfeinert und erweitert. Wer einmal die Onlinekataloge und den Präsenzhandel einschlägiger Fachgeschäfte für den Künstlerbedarf durchstöbert, kann sich in der überbordenden Vielfalt des Angebotes geradezu verlieren. Alleine das Angebot an unterschiedlichen Größen, Formen und Materialien für Pinsel und entsprechendes Zubehör ist geradezu erschlagend. Aber neben dem klassischen Pinsel kommen auch Rolle und Gummilippe, Malmesser, Rakel und Spachtel, Sieb, Spritzpistole und Zerstäuber, Schwamm, Lappen und vieles andere mehr zum Einsatz. Es wird gepinselt, gespachtelt und gesprüht, gegossen, geschüttet und getropft. Nicht nur der künstlerischen Freiheit sondern auch den Werkzeugen und Hilfsmitteln des Künstlers sind keine Grenzen gesetzt.

Und die Entwicklung geht weiter. Mit der zunehmenden Digitalisierung eröffnen sich nicht nur neue Arbeitsweisen und Techniken, sondern auch neue Werkzeuge und Hilfsmittel. Es entstehen neue Arten von Bildern, Graphiken und Kunstwerken: am Computer designed, zusammengesetzt und realisiert. Der Computer wird zum Handwerkszeug des (digitalen) Künstlers und ersetzt Pinsel und andere Werkzeuge und Hilfsmittel. Ein Beispiel hierfür bietet die folgende Galerie, die mein altes Gedankenspiel 'Buchstaben zu Pinseln! Wörter zu Pinselstrichen!" aufgreift und umsetzt.

Die Arbeiten dieser Galerie beruhen auf der Basis eines völlig neuen Ansatzes, der für mich selbst eine neue, eigenständige Linie darstellt. Diese neue Linie erinnert an spontane, wild und ungestüm geführte Pinselstriche im Stil des Abstrakten Expressionismus und des Action Paintings. Hierbei werden zufällig ausgewählte Buchstaben zufällig vergrößert oder verkleinert, rotiert, ver- und überlagert. Der Stil des entstehenden Bildes ist dabei maßgeblich von der gewählten Schrifttype abhängig. Der gewählte Buchstabe fungiert gewissermaßen als Stempel oder Schablone und die Schrifttype ersetzt den gewählten Pinsel, der wiederum für den Charakter des Pinselstriches verantwortlich zeichnet. Und das Endprodukt? Es setzt sich wie bei einer Collage aus einer Vielzahl von Einzelelementen zusammen.

Kritische Leser mögen den Beitrag des Zufalls an diesem Ansatz monieren. Aber der Zufall ist nicht nur in der Generativen Kunst zentraler Bestandteil. Spätestens mit Action Painting und Drip Painting hat der Zufall bewusst und gewollt Einzug in die Malerei der Moderne gehalten. Die Frage wer hier der Künstler ist, Mensch oder Computer, möchte ich in einem getrennten Beitrag diskutieren, da spätestens mit dem Einzug der Künstlichen Intelligenz mehr Akteure an der Entstehung eines Kunstwerkes beteiligt sind und deren Rollenverteilung zunehmend unscharf wird. Frei nach Richard David Prechts Buchtitel: "Bin ich Künstler - und wenn ja wie viele?".

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