Bin Ich Künstler - und wenn ja wie viele? (2023/10)

In meinem Beitrag Born To Be Wild habe ich die Frage aufgeworfen, wer denn überhaupt im Zeitalter zunehmender Digitalisierung der eigentliche Künstler ist: der Mensch oder die Maschine. Oder vielleicht deren Programmierer? Um es gleich vorweg zunehmen: ich möchte mir nicht anmaßen, diese Frage umfassend beantworten zu wollen. Vielmehr möchte ich hier einige Denkanstöße geben.

Ausgangspunkt der Fragestellung war die Entwicklung künstlerischer Werkzeuge und Hilfsmittel am Beispiel eines einfachen Pinsels. Während unsere Vorfahren für ihre Höhlenmalereien noch angekaute Zweige als Hilfsmittel für den Farbauftrag verwendeten, wurde die grundlegende Idee des Pinsels immer weiter fortentwickelt. Für die unterschiedlichsten Farben und Medien gibt es inzwischen eine unglaubliche Fülle von Pinseln unterschiedlichster Größen, Formen und Materialien. Und im digitalen Zeitalter versuchen Computerprogramme, die unterschiedlichsten Arten von Pinselstrichen nachzuahmen oder zu simulieren.

Bei der Betrachtung eines traditionell erschaffenen Gemäldes wird vermutlich niemand die Frage aufwerfen, wer denn hier der Künstler sei: der Pinsel oder der Maler? Wird der Pinselstrich dagegen am Computer simuliert, könnte diese Fragestellung dagegen durchaus ihre Berechtigung besitzen. Entscheidet der digitale Künstler zum Beispiel noch eigenständig über die Strichführung? Zeichnet er auf einem Grafiktablett und ist er der Herr über die einzelnen Verarbeitungsschritte? Dann dürfte außer Frage stehen, dass er für den kreativen, künstlerischen Anteil am Werk verantwortlich ist.

Moderne Grafikbearbeitungsprogramme verfügen heutzutage allerdings nicht nur über rudimentäre Werkzeuge, sondern auch über fortgeschritten, hochkomplexe Filter mit künstlerischem Anspruch. Mit ihrer Hilfe lassen sich ganze Grafiken unter diversen Parametereinstellungen sozusagen auf Knopfdruck modifizieren und verfremden. Es können unterschiedliche Leinwände und Farbarten simuliert und Grafiken in völlig andere Genres konvertiert werden. Hier wird die Beantwortung der Frage schon etwas schwieriger. Liegt der künstlerische Anteil an der Arbeit tatsächlich noch beim Künstler, der lediglich unter wenigen Parametereinstellungen auf Knopfdruck ein neues Bild erstellt? Oder liegt der künstlerische Verdienst in Wirklichkeit beim Entwickler und Programmierer des Filters? Anhand des nebenstehenden Bildes, das einen Ausschnitt aus meinem snapshot "Bananenrepublik zu Fuße der EZB?" zeigt, möchte ich die Leistungsfähigkeit dieser Filter anhand der folgenden Galerie demonstrieren.

All diese Bilder sind unter GIMP mittels eingebauter Filter oder des Zusatzpaketes G'MIC entstanden. Und diese Galerie zeigt nur die Wirkungsweise eines kleinen Bruchteils verfügbarer Filter. Zudem habe ich bei der Erstellung bewusst darauf verzichtet, spezifische Parameter zu optimieren, sondern die vom Programm vorgeschlagenen Standardparameter verwendet. Es dürfte klar sein, dass im beschriebenen Fall meine eigene künstlerische Leistung (außer der der Fotografie) ziemlich exakt bei null liegt.

Manchmal aber wird dieses harte Urteil so nicht haltbar sein, die Wahrheit eher in der Mitte liegen und individuell mal in die eine oder andere Richtung ausschlagen. Man denke zum Beispiel an einen Künstler, einen Meister seines Faches, der die einzelnen Filter exakt kennt. Der sich über die Hintergründe, die Methoden und Abläufe des Filters bewusst ist, die Wirkungsweise einzelner Parameter einzusetzen weiß und gezielt bestimmte Effekt produzieren kann. In diesem Fall kann man dem Künstler sicherlich nicht seinen Anspruch absprechen. Er nutzt eben gekonnt andere Werkzeuge und Hilfsmittel. Aber hat nicht trotzdem auch der Entwickler und Programmierer, der diese Möglichkeiten erst erschaffen hat, einen Anteil an der künstlerischen Leistung? Falls Sie die letzte Frage mit Ja beantworten, wie ist das dann mit dem Erfinder des Pinsels oder des angekauten Zweiges :-) ?

Eine Kunstrichtung, die erst die letzten Jahrzehnte Bedeutung erlangt hat, nennt sich Generative Art. Ein Großteil meiner eigenen Arbeiten ist hier zu verorten. Zwar existieren auch für dieses Genre inzwischen fertige Programmpakete, in ihrer Reinform treten in diesem Bereich allerdings Entwickler, Programmierer und Künstler in Personalunion auf. Die Frage, wer hier der Künstler ist, stellt sich in diesem Fall folglich überhaupt nicht. Der Künstler nimmt lediglich unterschiedliche Rollen ein. Er selbst  entwickelt und codiert die gewünschte Funktionalität nach seinen eigenen Vorstellungen und Bedürfnissen und setzt diese dann auch ein. Bildlich gesprochen sagt er dem Computer mittels eines selbst entwickelten Algorithmus welcher Pinsel mit welcher Farbe wie zu führen ist.

Der Großteil der Generative Art Community implementiert eigenständig Programme und stellt sie teilweise über das Netzwerk frei zu Verfügung. Dort werden sie nicht selten von anderen Künstlern wieder aufgegriffen, weiterentwickelt und schließlich in eigene Programme integriert. Ich persönlich implementiere die meisten meiner Programme selbst, lasse mich aber durchaus auch von anderen Künstlern und Webseiten inspirieren. In einigen Fällen greife aber auch ich auf Programme anderer Künstler zu und erweitere deren Funktionalität nach meinen Bedürfnissen. Ein Beispiel hierfür ist meine Arbeit "Faust malt Kandinsky", für das ich ein Programm von Giora Simchoni aufgegriffen, verfeinert und erweitert habe. Oder meine beiden Beiträge "Vermeer, Vermeer, Vermeer!" und "Klassiker in Line". Der Algorithmus hierzu basiert auf einer Idee von Antonio Sánchez Chinchón, der mit seiner Homepage 'Fronkonstin' eine wahre Quelle der Inspiration ist. Ohne Antonios Anteil schmälern zu wollen, können Sie sich selbst ein Bild davon machen, welche zusätzliche Funktionalität und künstlerische Möglichkeiten ich seiner Idee hinzugefügt habe: vergleichen Sie hierzu einfach die oben genannten Beiträge mit 'Scribbled Opera', das mit Antonios Algorithmus entstanden ist und die Alte Oper in Frankfurt zeigt.

Sie sehen, die aufgeworfenen Fragen sind nicht immer ganz so klar und eindeutig zu beantworten und an der Entstehung eines Kunstwerkes können durchaus mehrere Rollen/Akteure/Künstler, eventuell in Personalunion, beteiligt sein. Daher auch die Ausgangsfrage dieses Beitrages "Bin ich Künstler - und wenn ja wie viele?". Diese Problematik ist allerdings nicht neu. Man bedenke nur, dass selbst Alte Meister Werkstätten betrieben, und dass nicht jeder 'Dürer', 'Cranach', etc. ein reines Werk des Meisters ist. Oder an einen Damien Hirst der Neuzeit, der seine Spot Paintings ganz bewusst als Endlos-Serie aus der Retorte von Mitarbeitern malen ließ. Ist hier nur noch die Idee der künstlerische Beitrag? Völlig losgelöst von der Umsetzung?

Es ist ganz offensichtlich, dass in der digitalen Welt die Frage nach der Rollenverteilung und nach dem künstlerischen Beitrag am Schaffensprozess mit zunehmender Leistungsfähigkeit der extern, durch Dritte bereitgestellten Werkzeuge immer schwieriger zu beantworten sein wird. Und leider sieht man dem Endprodukt, dem Kunstobjekt, in der Regel auch nicht an welche Rollen und welchen Anteil der Künstler daran hat. Verschärft wird die ganze Thematik zusätzlich durch die enormen Leistungssteigerungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz. Ein Schlagwort das bereits vor Jahren im Netz die Runde gemacht hat, ist "AI Style Transfer". Dabei werden Stile einzelner Bilder oder Künstler direkt auf andere Bilder übertragen. Die folgende Galerie gibt einen kleinen Eindruck hierzu.

Abgesehen von der ursprünglich bereitgestellten Fotografie ist auch hier mein künstlerischer Beitrag ganz offensichtlich gleich null. Er liegt also eher bei den Entwicklern und Programmierern des verwendeten Werkzeuges, die in einem aufwändigem Prozess ein Künstliches Neuronales Netz anhand einer Unmengen von Daten trainiert haben, um diese Funktionalität bereitstellen zu können. Und angesichts der enormen Leistungssteigerungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz geht die Entwicklung rasant weiter. Der nächste große Hype sind textbasierte AI Bild Generatoren. Der 'Künstler' beschreibt verbal nur noch das ihm vorschwebende Bild und auf Knopfdruck generiert die Künstliche Intelligenz innerhalb von wenigen Sekunden ein oder gleich mehrere Bilder zur Auswahl. Hier eine kleine Kostprobe, die ich mit der Beschreibung "Show me a yellow freight wagon for transporting bananas with one sky scraper in the background" erhalten habe.

Durchaus erstaunlich! Allerdings möchte ich nicht verhehlen, dass einige der zurück gelieferte Resultate äußerst skurrile waren und nicht zur vorgegebenen Beschreibung passten. Vor allem bei der Spracheinstellung Deutsch statt Englisch. Man könnte also zu dem Schluss kommen, dass diese Technologie noch in den Kinderschuhen stecken. Allerdings gibt es zahlreiche andere Anbieter mit vergleichbaren Angebot, deren Produkte gegebenenfalls etwas ausgereifter sind. Ein Vergleichstest findet sich hier.

Abschließend bleibt festzuhalten, dass die neueren Entwicklungen aus technischer Sicht durchaus beeindruckend sind, aber auch am Selbstverständnis des Künstlers zehren und alte Frage und Phrasen noch vehementer (und individuell vielleicht auch zu Recht) in den Mittelpunkt rücken:

Was ist eigentlich Kunst?
Ist das Kunst oder kann das weg?
Das ist Kunst? Das kann ich auch!

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