Evolutionäre Kunst (2023/02)

Evolutionäre Algorithmen als Teilbereich der Informatik sind Optimierungsverfahren, die sich am Vorbild der biologischen Evolution orientieren. In der Biologie haben wir gelernt, dass jedes Lebewesen (Individuum) in seinen Zellen charakteristische Erbinformationen trägt - eben seinen ganz eigenen, individuellen, genetischen Bauplan. Eine Gattung besteht aus einer Vielzahl solcher Individuen, die sich über Generationen hinweg fortpflanzen. Bei der Fortpflanzung vermischen sich die individuellen Baupläne zweier Individuen. Sprich, es entstehen neue Baupläne durch Kreuzung von Erbinformationen. Genauso können aber auch Erbinformationen zufällig durch Mutation verändert werden, zum Beispiel durch Umwelteinflüsse.

Neben solchen Prozessen der Veränderung von genetischen Bauplänen kennt die Evolutionstheorie das Grundprinzip des 'Survival of the fittest' oder auch natürliche Selektion genannt. Hiernach überleben grundsätzlich die Individuen einer Generation, die sich am besten (und am schnellsten) an die vorherrschenden Umweltbedingungen anpassen. Folglich bringen diese auch die größte Anzahl von Nachkommen hervor und beeinflussen hierdurch maßgeblich die Entwicklung und den Fortbestand ihrer Gattung.

Doch was hat dies nun mit Kunst, mit 'evolutionärer' Kunst zu tun? Lassen Sie mich dies am Beispiel eines typischen Werkes des  Malers Wassily Kandinsky erläutern. Diese sind häufig durch einzelne geometrische Strukturen, Formen und Linien gekennzeichnet. Sie bestehen also aus einer Vielzahl einzelner Objekte oder Merkmale, die in bestimmter Weise - einem Bauplan folgend - angeordnet sind. Und auch die einzelnen Objekte folgen einem Bauplan: die Leinwand hat ein bestimmtes Format und eine spezifische Hintergrundfarbe; ein Kreis wird bestimmt durch seine Position auf der Leinwand, seinem Radius, seine Farbe, seinem Rand; ein Rechteck wird durch ähnliche Parameter determiniert; etc., etc.

Man könnte also ein Kandinsky-ähnliches Bild als Individuum interpretieren, das einem bestimmten Bauplan folgt. Eine Vielzahl Kandinsky-ähnlicher Bilder würde demnach einer ganzen Generation entsprechen, deren Baupläne sich durch Kreuzung und Mutation über Generationen hinweg verändern können. Hierdurch würden von Generation zu Generation neue Kandinsky-ähnliche Bilder entstehen, die Merkmale ihrer jeweiligen Vorfahren in sich tragen. Soweit, so gut! Doch was ist mit der natürlichen Selektion?

An dieser Stelle kommen Sie als Betrachter ins Spiel. Während die Natur auf harte und grausame Weise die Selektion selbst vornimmt, nutzen Evolutionäre Algorithmen eine Zielfunktion, die es zu optimieren gilt. In unserem Falle wäre dies die Maximierung des Votums der Betrachter. Sprich, von einer Generation Kandinsky-ähnlicher Bild wird nur ein Bruchteil in eine neue Generation übernommen, der es im Auge des Betrachters verdient, sich 'fortzupflanzen'. Zwischen Januar und Anfang Februar 2023 habe ich versucht, diese Idee auf Instagram zu realisieren. Die folgende kleine Galerie zeigt mit sechs Bildern den Ausgangspunkt des Projektes.

Durch Mutationen (leichte Veränderungen) und Kreuzung der zugrundeliegenden Baupläne, sowie der Hinzunahme weiterer geometrischer Objekte und Individuen entstand in diesem Projekt über mehrere Wochen und Generationen hinweg das Bild "Insta Fellow in Dark Green". Das folgende Video simuliert dessen Entwicklungspfad.

Grundsätzlich war dieses Projekt aus meiner Sicht durchaus erfolgreich. Dies zeigte sich nicht zuletzt in einer zeitweisen Verdoppelung meiner Reichweite, einem deutlich Wachstum an Followern sowie einer ungleich höherer Anzahl von likes.

Trotzdem hat sich meinen Erwartungen entsprechend gezeigt, dass Instagram nicht unbedingt das ideale Medium hierfür ist. Idealer Weise besteht eine einzelne Generation aus einer wesentlich höheren Anzahl von Bildern. Des weiteren sollte eine einzelne Generation dem Betrachter nicht stückchenweise über mehrere Tage, sondern am Besten zeitgleich präsentiert werden. Erst dann kann sich der Betrachter ein konkretes Bild über alle Individuen einer Generation machen, um diese vergleichend bewerten zu können. Und schließlich sollte die Anzahl positiver Bewertungen begrenzt sein, die ein Betrachter für eine einzelne Generation abgeben kann. Last but not least, muss ich ehrlicher Weise einräumen, dass meine eigene Reichweite für ein Projekt dieser Art nicht annähernd ausreichend ist.

Grundsätzlich bräuchte es also ein deutlich größeres Publikum, das sich aktiv am Entstehungsprozess eines Kunstwerkes beteiligen möchte. Trotzdem lautet mein eigenes Resümee: eine spannende Idee, die ich gerne weiter verfolgen möchte. Zumal sie nicht auf Kandinsky-ähnliche Bilder begrenzt ist, sondern sich auf alle möglichen Spielarten Generativer Kunst ausweiten lässt und sie die Möglichkeit bietet, Kunstwerke im Dialog mit dem Publikum zu erschaffen.

Zurück